Nach einigen weiteren Artikeln im „Spiegel Online“ will ich einmal versuchen zu schildern, wie sich die Lage hier im Lande darstellt.

Ich habe mich mit einigen Leuten zu dem Thema unterhalten. Darunter sind Kollegen, Ausländer die schon länger hier leben und auch Mitarbeiter der Sicherheit der französischen Botschaft. Gerade letztere dürfen als durchaus gut informiert gelten.

Sicher ist etwas Hintergrundwissen in diesem Zusammenhang nicht zu verachten. Zunächst zur Historie des Landes. Bis Anfang der 90er Jahre war der Jemen gespalten in den Nord- und den Südjemen. Der Süden orientierte sich an der Sowjetunion, der Norden wurde massiv vom Westen unterstützt. Zu diesem Zeitpunkt herrschte aber bereits im Norden keineswegs Demokratie. Es war zwar auf dem Papier eine präsidiale Demokratie. In Wirklichkeit aber ist es bis heute eher eine Art Erbmonarchie. Durch und durch korrupt. Mit massiver Unterstützung des Westens wurde Anfang der 90er der Süden überrollt und dem Norden angeschlossen. Seit dem gibt es ein „einheitliches“ Jemen. Das allerdings ist nun wieder so einheitlich nicht. Die Macht der Regierung erstreckt sich mit Hilfe des Westens im wesentlichen auf die Provinz Sanaa. Der Süden wird mittels massiver Militärpresenz kontrolliert. Der Landesteil nördlich von Sanaa entzieht sich weitestgehend der Kontrolle der Regierung. Nördlich von Saada ist sie praktisch ohne jede Kontrolle. Das Land dort geografisch mit Afghanistan vergleichbar und ähnlich schwer zu kontrollieren.

Inzwischen bereut der Westen durchaus die langjährige massive Unterstützung des Nordens. Dieser ist sehr konservativ und hängt einem sehr fundamentalistischen Islam nach. Die Zustände nähern sich immer mehr denen in Saudi Arabien an. Zwar dürfen Frauen hier noch alleine aus dem Haus, aber es ist selbst für Ausländerinnen mittlerweile problematisch unverschleiert auf die Strasse zu gehen.

Der Süden ist da sehr viel fortgeschrittener und offener. Sana’a erscheint einem im vielem wie eine Stadt aus dem Mittelalter. Zwar etwas besser technisiert (es gibt immerhin ca. den halben Tag Strom) und es gibt auch zahlreiche Vehikel in der Stadt, die man mit einiger Fantasie unter die Kategorie Auto zählen könnte, aber Gesellschaftlich und in der Lebensweise ist man hier nicht weit vom Mittelalter entfernt.

Nichts desto trotz sind die meisten Einwohner hier Ausländern gegenüber sehr freundlich und aufgeschlossen. Nach meinem Eindruck noch immer deutlich freundlicher, als sich viele deutsche gegenüber Ausländern verhalten.

Nun zur aktuellen Lage. Die Situation hat sich mit Fortdauer der Entführung selbst hier in Sana’a zugespitzt. Das Militär versucht die Kontrolle über die Nördlich von Sana’a liegenden Landesteile zu bekommen. Zu dem Zweck wurden die Verkehrsverbindung in diese Region unterbrochen. Das Problem dabei ist, das nahezu alle Erdölquellen des Landes in dieser Region liegen. Inzwischen ist Benzin in Sana’a Mangelware. Wenn es an Tankstellen mal etwas gibt, werden nur sehr kleine Mengen verkauft. Priorität geniesst natürlich das Militär. Irgendwo muss der Sprit ja herkommen, den die mehrmals täglich über die Stadt donnernden Jagdflugzeuge in den Himmel pusten.

Die Militärpräsenz, die in der Stadt ohnehin schon hoch ist, hat noch weiter zugenommen. Heute waren mehrere grosse Strassen in der Stadt komplett gesperrt. Der Grund dafür war bisher nicht zu erfahren.

Die Regierung nimmt die Ermordung der Geiseln zum Vorwand, um gegen die Huthi, eine schiitische Minderheit im Norden des Landes, vorzugehen. Diese stellen nach übereinstimmender Meinung der Leute, mit denen mich unterhalten habe, die stärkste und aussichtsreichste Oppositionskraft im Norden und somit die grösste Gefahr für die momentane Regierung dar. Die Kräfte im Süden sind in sofern keine Bedrohung, als sie sich bei günstiger Gelegenheit sofort wieder vom Norden trennen würden. Sie haben, ebenfalls nach übereinstimmender Meinung, kein Interesse am Norden des Landes.

Die Lage die Geiseln betreffend ist insgesamt recht unklar. Es gab schon Recht oft Entführungen im Jemen, diese sind jedoch bisher immer gut verlaufen. In der Regel waren die Entführer regionale Machthaber oder Stammesführer, die Leistungen der Regierung wie Strassenbau, Wasserversorgung, auch schon mal Freilassung von Gefangen erreichen wollten. Die Geiseln wurden immer gut behandelt und kamen in der Regel innerhalb kürzester Zeit wieder Frei. In diesem Fall gibt es da aber einige Merkwürdigkeiten. Die Behauptung der Regierung, dass diese Entführung unter der Regie der Huthi steht, wird grösstenteils bezweifelt. Zumal diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Geiseln getötet hätten. Das liesse sich am ehesten noch den ebenfalls in dieser Gegend operierenden Al Quaida Gruppen zuordnen. Diese haben sich aber bisher weder dazu bekannt, was ja durchaus zu erwarten wäre, wenn sie diese aus Religiösen Gründen getötet hätten, noch erscheint es logisch, das sie 3 Geiseln töten und dann mit dem Rest Versteck spielen. Die Sicherheitsleute der französischen Botschaft, äusserten die Vermutung, das die Geiseln bei einem Befreiungsversuch getötet wurden. Nach ihrer Auffassung wird sich das aber nie wirklich Aufklären lassen, da die Regierung das niemals zugeben wird und ausserdem einen Vorwand für eine militärische Eskalation mit den Huthi sucht. Auch ich bin mir, nach allem was ich in Gesprächen so erfahren habe, nicht wirklich sicher, ob jemals der Hintergrund dieser Entführung wirklich aufgeklärt wird.

Alles in allem bin ich aber recht froh, das meine Zeit hier sich dem Ende zu neigt. Ich werde, wenn alles klar geht, am Freitag morgen wieder nach Deutschland zurück fliegen. Danach geht es wieder in angenehmere Gefilde.

Artikel zu diesem Thema im „Spiegel Online“:

„Die seltsamste Entführung, die es je im Jemen gab“ und

„Innenminister verspricht schonungslose Jagd auf Geiselnehmer“

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This post has 1 comment.

  1. W.Egler
    21 Jun 09 21:15

    Hallo Matthias,

    vielen Dank für diesen wirklich sehr interessanten Artikel! Passe gut auf dich auf und komme gesund zurück. Ich freue mich darauf, dich hoffentlich in der nächsten Woche wiederzusehen.

    Alles Gute
    Wolfgang

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